Steinbrück/Ude vs. Merkel/Seehofer – das versprach ein spannender Wahlkampf zu werden. So mancher Aufreger wie Steinbrücks Stinkefinger sorgte im Seminar für angeregte Diskussionen: Geschickter medialer Schachzug oder eines Kanzlerkandidaten unwürdig? Mediale Aufbereitung von Wahlkampf – Information oder Manipulation? Mit diesen und vielen weiteren Aspekten setzten sich die Teilnehmer des W-Seminars „Superwahljahr 2013“ intensiv auseinander. Das Spektrum der Seminararbeiten reichte von der Personalisierung des Wahlkampfes über Wahlkampfmethoden wie Plakaten oder TV-Spots bis hin zum Wahlkampf der SPD-Spitzenkandidaten. Seine persönlichen Erfahrungen im W-Seminar schildert Simon Haffner:

Das kleine Wörtchen „man“ – Gedanken zum W-Seminar „Wahlkampfjahr 2013“

„Wie kannst du bloß…?“, habe ich oft zu hören bekommen, wenn ich erzählt habe, dass ich meine Facharbeit über den Wahlkampf von Peer Steinbrück schreibe. Zwar beinhaltete schon diese bloße Frage den Ausdruck des Unverständnisses mir gegenüber, aber sie war mir lieber als ihre Variation: „Wie kann man bloß…?“. Der Unterschied erscheint marginal – ein „du“ für ein „man“, was ist denn schon dabei? Aber dieses kleine Wort verwandelt aus mangelndem Verständnis eine subtile Anklage: Das „man“ kommt in jenen Situationen zum Tragen, wenn gewisse kollektive Werte, Normen oder Einstellungen wiedergegeben werden: Dieses oder jenes macht man nicht, im Sinne, dass es die Allgemeinheit nicht macht, also keiner. Wer dem zuwiderhandelt, hebt sich unvorteilhaft ab, weil der Verstoß gegen ein gemeinschaftliches Gebot ein unwillkommener Akt ist: Der Einzelne entzieht sich dem kollektiven Einfluss, den die Gesellschaft ausübt, nämlich jenem, bestimmte Vorstellungen als verbindlich zu betrachten und artig zu befolgen. Die Frage „Wie kann man bloß…?“ heißt umformuliert: „Wer bist du, dass du dir anmaßen kannst, diese unsere Regel zu missachten?“ Vor allem entrückt sie mich des Normalen, weil es sich dabei um das handelt, was der Durchschnitt, was man macht, insofern führt meine Abgrenzung von „man“ auch zu einer Absonderung vom Üblichen.

Zwang zur Beschäftigung

Der Eindruck, sozial stigmatisiert worden zu sein, wäre freilich allzu übertrieben – und nicht einmal zutreffend –, zumal das entsprechende W-Seminar aus 14 Schülerinnen und Schülern bestand. Ich kann an dieser Stelle nicht die Motivation aller, an diesem Seminar teilzunehmen, darlegen, lediglich meine; und doch denke ich, dass sie zumindest übertragbar sein könnte. Denn wenn man nun Erstwähler ist, und sei es zudem ein politisch Interessierter, der das Tagesgeschehen regelmäßig mitverfolgt, bietet ein Wahlkampfseminar ein solides Fundament, um zum politischen Schicksal unseres Staats seinen Beitrag zu leisten. Die Bewertung der Facharbeit stellt nämlich die Notwendigkeit dar für eine ernsthafte und gründliche Auseinandersetzung mit aktuellen, politischen Problemen, auf die die Parteien in ihren Wahlprogrammen Antworten zu finden versuchen, sowie der Art und dem Gelingen der Kommunikation zwischen Politikern/Parteien und Wählern. Dieser „Zwang zur Beschäftigung“ gewährleistet, dass zumindest das eigene Thema konsequent verfolgt und zu einem vernünftigen Ergebnis gebracht wird. Politische Bildung und Beteiligung sind keineswegs mehr selbstverständlich: Bei der letzten Bundestagswahl gaben nur etwa 70 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimmen ab; eine sogenannte „Politikverdrossenheit“ grassiert wie eine Grippe.

Probleme mit „Pannen-Peer“

Eine der Herausforderungen an, aber auch eine der Chancen für die Seminarteilnehmer bestand darin, das Geschehen nicht nur zu verfolgen, sondern auch zu strukturieren und zu selektieren, darüber hinaus musste das Vorurteil einer drögen Politik zunächst einmal überwunden werden. Immerhin verhält es sich nicht so, dass Politik ein Luxus ist und Wahlen einen raren Zeitvertreib auf nationaler Ebene, sondern Notwendigkeiten darstellen, die sich aus den Bedürfnissen der Bevölkerung ergeben. Selbst wenn politische Beschäftigung als unangenehm, lästig oder gar zu schwierig für den Laien empfunden wird, verringern derartige Ausflüchte politisch Desinteressierter mitnichten ihre Nezessität – so entlarvt sich die Wahlmüdigkeit der Verdrossenen einmal mehr als irrational. Im Übrigen fand ich mein Thema sehr spannend, zumal ich sichtlich nicht der Einzige war, der seinem Sujet etwas abgewinnen konnte. Die Entscheidung wurde mir sehr erleichtert, weil der Mann, dem ich mich in meiner Arbeit widmen sollte, im Januar 2013, als ich nach einem geeigneten Thema suchte, bereits häufig in den Nachrichten erwähnt worden war: Peer Steinbrück. Dieser Politiker, obwohl er gerade mal im Oktober 2012 nominiert und erst im Dezember zum Kandidaten gekürt wurde, hatte es bereits in drei Monaten geschafft, mehrmals negative Schlagzeilen zu verursachen und einen deutlichen Anteil seines ursprünglichen Prestiges zu verlieren. Wie ich erhofft hatte, blieb es nicht dabei, bis zur Bundestagwahl im September 2013 sollten sich noch so viele Pannen dazugesellen, dass sie unmöglich alle im Rahmen einer Seminararbeit zu behandeln waren. Tatsächlich konnte ich mir, während ich den Wahlkampf verfolgte, ein Bild machen, aus dem ich zwei große Erkenntnisse gewonnen habe, die ich hier ausführen möchte.

Kommunikationstechnische Binsenweisheiten

Die erste davon ist keine Neuheit, keine Sensation und im Grunde nicht einmal mehr eine Überraschung, aber ich fürchte, gerade weil sie so bekannt erscheint, verkommt sie von einer ernstzunehmenden Tatsache zu einem Gemeinplatz. Wer sich im Unterricht einmal mit Medien und Journalismus befasst hat, wurde zwangsläufig mit der Frage konfrontiert, wie objektiv Medien überhaupt sind, sein können, und erlernt bestenfalls einen kritischen Umgang mit ihnen. Soviel zur Theorie. Aber diese pauschale Warnungen, es müsse nicht alles wahr sein, was in der Zeitung steht, was das Fernsehen berichtet, was man im Internet finden kann, kommen so vertraut, so altbacken daher. Man wähnt sich sicher, einerseits wisse man ja nun genug über die Gefahren unreflektierten Kontakts mit den Medien, um ihnen nicht zu erliegen, und andererseits fänden Manipulation und Meinungsmache in China, Nordkorea, Russland statt, aber hierzulande doch nicht, schließlich befinde man sich in einer freien Demokratie und aufgeklärt sei man ja sowieso. Tatsächlich ist die deutsche Presse mit der aus den genannten Ländern nicht vergleichbar, jedoch gibt es auch zwischen schwarz und weiß noch Abstufungen: Als nämlich der Kanzlerkandidat Steinbrück in einem Interview sinngemäß sagte, dass ein Bundeskanzler zu wenig verdiene, wenn man dessen Leistung und Verantwortung mit denen einer Tätigkeit, die besser bezahlt werde – als Beispiel nannte Steinbrück einen Sparkassendirektor – vergliche, wurde folgende Aussage daraus exzerpiert: Der Bundeskanzler verdient zu wenig bzw. Steinbrück, der Kanzler werden will, möchte mehr verdienen. Und davon kann im ursprünglichen Kontext nicht die Rede sein. Sicherlich – das möchte ich gar nicht beschönigen – war diese Äußerung ziemlich unbesonnen, vor allem für jemanden, der sich anschickt, dieses Amt zu bekleiden, und damit, dass sie zerpflückt, umgedeutet, missinterpretiert wird, hätte er rechnen müssen. Der Punkt ist aber Folgendes: Wenn ein Satz aus seinem Zusammenhang gerissen wird, wird seine Bedeutung verzerrt, das ist eine kommunikationstechnische Binsenweisheit, die gerade ein Journalist kennen sollte. Auf dieser Ebene kann freilich manipuliert werden: Sätze werden gekürzt, bei einer groben Wiedergabe können Wörter mit einer anderen Konnotation verwendet werden, oder, wie mein anfängliches Beispiel zeigt, können subjektive Werturteile hinter universal gültigen Formulierungen verborgen werden, denn als vermeintlicher Fakt präsentiert wird die persönliche Meinung weniger angreifbar. Wer bin ich schon, mich gegen die Allgemeinheit, verkörpert durch dieses kleine Wort „man“, zu stellen?

Mentale Trägheit im Umgang mit Medien

Die andere Erkenntnis betrifft aber nicht die Sender-, sondern die Empfängerseite: Vor dem Hintergrund meiner Beobachtungen scheint es mir, dass das Recht auf Information mit einem Anspruch verwechselt wird, diese möglichst vorgefertigt zu bekommen, als wollte man die eigene gedankliche Leistung nach außen verlagern. Wenn ich nun all die Debatten um Steinbrück Revue passieren lasse – ich will mich an dieser Stelle ausdrücklich davon distanzieren, hier für ihn oder eine bestimmte politische Ausrichtung werben zu wollen –, dann erkenne ich in der Art, wie diskutiert wurde, eine gewisse mentale Trägheit, kritisch mit dem medialen Geschehen umzugehen. Oder anders gesagt, scheint es eine Art Empörungs-, Sensationslust zu geben, die darin gipfelt, einen erfahrenen Volkswirtschaftler, ehemaligen Minister und gefragten Buchautoren als unverbesserlichen Kasper darzustellen, der kein Fettnäpfchen auslässt. Ich weiß nicht, woher dieses Verlangen, andere, allen voran Personen des öffentlichen Lebens, zu erniedrigen, rührt, aber sie öffnet der Oberflächlichkeit Tür und Tor. Wenn Nebensächlichkeiten und Äußerlichkeiten zur Hauptsache aufgebauscht werden, werden sie im wahrsten Sinne überbewertet, die wesentlichen Angelegenheiten ins Abseits verdrängt; folglich wird das öffentliche Auftreten, nein, vielmehr das geschickte Taktieren mit dem Publikum zum Maß der Dinge, was gefällig ist, scheint auch dem Anspruch zu genügen, gut, richtig und vernünftig zu sein. Was haben wir davon? Politiker, die uns tolle, nur leider eben oftmals leere Versprechungen machen, oder die Programme auf den Stimmungen im Land aufbauen, die uns in unseren Gefühlen bestärken, sie gar anfeuern – mit anderen Worten: Populisten. Wir kennen sie alle, angefangen bei den Harmlosen, die uns bloß mit der „Wir sind anders“-Leier kommen bis hin zu machtgierigen Hetzern, deren despotische Anwandlungen schon innerhalb der eigenen Partei zu Tage treten. Der einzige Vorteil, den uns die Oberflächlichkeit bietet, ist einzig und allein die Annehmlichkeit, ein schnelles und einfaches Urteil fällen zu können, nur ist eben dieses gefühlte Urteil vielmehr eine Intuition, der vermeinte rationale Entscheidungsprozess lediglich eine Illusion. Wie leicht man es sich machte, wenn der Verstand Gefühlen unterworfen wäre, wie steuerbar man würde, indem man sich Wahlentscheidungen durch geschicktes Spiel mit Ängsten oder großartigen Versprechungen abnehmen ließe und auf den übertrüge, der einen zu manipulieren weiß. Freilich gewinnt der jemandes Sympathie, der dessen Kreuz am besten honoriert und ihn nach allen Regeln der Kunst umwirbt, aber dieser da, welcher großes Talent dafür hat, sich beliebt zu machen, muss nicht ein entsprechend großes zum Regieren haben. Dies zu verwechseln, wäre fatal, denn es bedeutete einen Rückschritt davon, ein mündiger, selbstbestimmter Bürger zu sein.

Die Mühe lohnt sich

Dann gibt es noch diejenigen, welche sich von allem Politischen distanzieren, nicht zu Wahlen gehen und aus dem, was sie nicht mehr direkt betrifft, heraushalten: Aber selbst jene sind nicht frei von Problemen, die sie gerne durch die Politik gelöst wüssten, und leiden genauso unter schlechten Regierungen wie die anderen. Warum also enthalten sie sich? Womöglich erscheint ihnen der „Erfolg“ ihres Wahlganges als zu gering, als dass er es wert wäre; vielleicht ist nur das zu tun, was nützt, und wenn es keinen deutlich sichtbaren Nutzen brächte, dann lohnte es der Mühe nicht – eine reichlich ungesunde, eine destruktive Haltung für eine Demokratie. Sollten Wahlbeteiligung und politisches Interesse weiterhin zurückgehen, wer weiß, wie lange man dann noch von einer Demokratie sprechen kann.

Simon Haffner, Q12

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